Menu
Menü
X

Stolpersteine in Taunusstein-Wehen

Es war eine würdige Gedenkfeier zur Verlegung der Stolpersteine in Wehen! Herzlichen Dank an alle Mitwirkenden: Karin Bosse-Hagen, Gabriele Schuster, Ako Karim (Klarinette), Dekanatskantor Thomas Wächter und BGM Sandro Zehner. Besonderen Dank an Lena, Freya und Mia. Ihre biografischen Notizen waren sehr bewegend. Die Texte sind auf unserer HP!

Fritz Kahn Fritz Kahn, geboren am 19. Dez 1932 in Laubenheim, gelegen in der Nähe von Mainz, Sohn von Arthur und Hedwig Kahn. Doch mehr als den Namen seiner Eltern kannte Fritz nicht, da er schon vor Ende seines ersten Lebensjahres zu seiner Tante Rosa und seinem Onkel Siegfried Nassauer gebracht wurde. Denn seine Eltern versuchten den Folgen von Hilters nationalsozialistischer Propaganda und staatlich verordneten Angriffen auf jüdische Deutsch zu entkommen. Sie ergriffen die Flucht nach Belgien und suchten Unterschlupf, um sich dort eine neue sichere Identität aufbauen. Fritz, du warst ein unschuldiges Kind mit den gleichen Interessen und Träumen wie die Kinder um dich herum. Ich sehe dich vor dem Haus mit deinem Ball spielen und Steine in den Bach werfen. Doch als die Nazis an die Macht kamen, machte dich ihr Judenhass zum Außenseiter und schließlich zum Gejagten. Und du warst nicht der Einzige. 500.000 jüdische Deutsche wurden zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes verletzt, ausgegrenzt und ermordet. Glücklicherweise hattest du eine Freund, W.K. , der dir , trotz der von den Nazis angeordneten Judenfeindlichkeit zur Seite stand und dein Leben erträglicher machte. 1938. Am Tag des Münchener Abkommens ließ Arthur Kahn Siegfreid Nassauer eine Nachricht zukommen, in welcher nur wenige Worte vorkamen: „ Bring den Jungen hier raus!“ Der Auftrag war klar und Siegfried weckte den nun fünf jährigen Fritz Kahn mitten in der Nacht, zog ihm seine feinsten Sachen an und gab ihn in die Hände einer Freundin der Familie. Marie Goar brachte Fritz in dieser Nacht zur Grenze, wo auch schon sein Vater sehnsüchtig auf ihn wartete. Doch dieser war für Fritz in dem Moment ein vollkommen fremder Mann, der da auf der anderen Seite der Grenze auf ihn wartete und rief: C‘est mon fis! Das ist mein Sohn! Damit überzeugte sein Vater die Grenzsoldaten schließlich, seinen Fritz durch zu lassen. Er war fünf Jahre alt. Ab da schlug sich Familie Kahn mit den Pässen einer alten verstorbenen katholischen Familie durch. Sie wechselten immer wieder ihren Wohnsitz und lebten in Angst und Schrecken, jeden Moment entdeckt zu werden. Fritz lebte in dieser Zeit sozial isoliert und abgeschottet von der Normalität, die er als heranwachsender Jugendlicher eigentlich verdient hätte. Er musste immer wieder parallel zur Wohnung auch die Schule wechseln und hatte keine Möglichkeit soziale Kontakte zu knüpfen. 1956 wanderte er dann nach Maryland/ Baltimore aus und verbrachte dort sein weiteres Leben. Er studierte. Er hatte die Idee der Presidential debates, heute bekannt alt TV-Duelle. Er führte Interviews zu seinem Leben in jüngeren Zeiten und der Flucht und veröffentlichte ein Buch über sein Leben, um es mit uns allen zu teilen. Fred Kahn konnte nur Überleben, weil sich Menschen für das Kind, für Gerechtigkeit und Freiheit einsetzten. Und genau deshalb stehen wir heute hier. Damit sich dieses Schicksal so vieler Menschen nicht noch einmal wiederholt. Von Mia Mertens, Gymnasium Taunusstein 2022 Jakob Nassauer Jakob Nassauer wurde am 14. Oktober 1895 in Wehen geboren. Jakob wuchs in Wehen auf und wohnte zuletzt hier in der Weiherstraße 13, im Haus seiner Tante und seines Cousins. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Pflasterer in einem Wiesbadener Betrieb. Jakob war nicht verheiratet. Er war Mitglied in der Wehener Feuerwehr - solange er dabei sein durfte. Vor 80 Jahren wurde Jakob Nassauer ab Frankfurt am Main am 11. Juni 1942 in das Konzentrationslager Majdanek deportiert. Dort wurde er, einen Monat später, am 10. Juli 1942 ermordet. Jakob Nassauer wurde 46 Jahre alt. Karin Bosse-Hagen, 2022 Josefine Rufine Nassauer geb. Simon Josefine Rufine wurde am 24. Juli 1857 als zweites Kind von Josef und Jettchen Simon in Wehen geboren. Sie wuchs in Wehen auf und heiratete später den Metzgermeister Alexander Nassauer. Die Familie war hochangesehen, Alexander war Mitglied der Gemeindevertretung in Wehen, Vorsitzender der Lehrlingsprüfungskommission des Fleischergewerbes im Bezirk Wehen Mitglied in der Fleischer-Innung in Wiesbaden. Und auch Mitglied der Wehener Feuerwehr und, und, und 1913 nahm sich Alexander Nassauer das Leben, er tötete sich selbst, nachdem er während eines tragischen Familienstreits unabsichtlich seine Tochter Paula tödlich verletzt hatte. Die Wertschätzung von Alexander Nassauer und seiner Familie zeigte sich in der außerordentlich großen Anteilnahme an der Beisetzung von Alexander und Paula. Den Särgen folgten über 1200 Menschen - Juden und Christen Josefine und Alexander hatten zusammen fünf Kinder. Die Söhne Isidor, Siegfried und die Tochter Clothilde wurden Opfer der Shoah. Isidor (*23.09.1884) der nach Düsseldorf verzogen war, wurde am 10. November 1941 von dort in das Ghetto Minsk deportiert und dort ermordet. Aus Wiesbaden wurde Clothilde (26.05.1882) am 23. Mai 1942 in das besetzte Polen (Ghetto Izbica) deportiert und wahrscheinlich in Sobibor ermordet. Siegfrieds (*19.08.1885) Deportation erfolgte am 11. Juni 1942. Nur der Sohn Otto Nassauer konnte mit seiner Familie 1938 in die USA fliehen und so überleben . Wenige Tage nach der Deportation von Siegfried, Rosa und Jakob musste Josefine Rufine Nassauer zwangsweise am 16. Juni 1942 nach Wiesbaden in ein so genanntes Judenhaus umziehen. Josefine war ganz allein. Über Frankfurt am Main wurde sie am 1. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort am 18. September 1942 ermordet. Josefine Rufine Nassauer wurde 85 Jahre alt. Karin Bosse-Hagen, 2022 Rosa Nassauer Rosa Nassauer war die Tante von Fred Kahn und Ehefrau von Siegfried Nassauer. Sie wurde am 29.05.1884 mit dem Mädchenname Kahn geboren. Ihre Eltern Jakob Kahn und Adelheid Kahn, sowie ihr Bruder Max Kahn lebten in Kettenbach, dort wo sie auch geboren wurde. Rosa war deutsche Jüdin. Doch was hieß es und heißt es immer noch, Jüdin zu sein? Welche Aufgaben hat eine Frau im Judentum? Erwähnenswert ist zunächst, dass Mann und Frau im Judentum als Gottes Ebenbild geschaffen wurden, jedoch unterschiedliche Aufgaben hatten oder immer noch haben. Blicken wir heute also gemeinsam auf die Dinge zurück, die für Rosa vermutlich Alltag und Norm waren. Die Verantwortung für rituelle Pflichten, also das Eheleben, sowie das Familienleben, liegt bei der Frau. Außerdem zündet die Frau die Sabbatkerzen an und backt das Sabbatbrot. Rosa (hoch schauen) hast du das auch gemacht? Oder hat Siegfrieds Mutter geholfen? Sie lebte doch bei euch, übernahm sie Aufgaben oder musstest du ihr eher helfen? Dass die Nahrung koscher ist und die Kinder traditionell die Gebete und Buchstaben des Judentumes lernten, ist auch die Aufgabe der Frau. Zumindest so lange bis die Kinder in Obhut des Vaters oder eines Lehrers gegeben werden. Auch sind Frauen sehr aktiv in der Gemeinschaft und führen zum Beispiel Krankenbesuche durch. Jedoch gilt für Ehepartner*innen die gegenseitige Pflicht sich zu lieben, beizustehen, gemeinsam ihre Kinder großzuziehen und ein glückliches Eheleben zu führen, so wie es Gott in der Thora vorgibt. Rosa war Siegfried deine große Liebe? Hast du mit ihm ein glückliches Eheleben geführt? Ihr hattet keine Kinder, wir können nicht sagen, ob ihr keine wolltet oder ob ihr vielleicht keine bekommen konntet. Wir können auch nichts darüber sagen, wie eure Ehe war. Es gibt keine Schriften, keine Aussagen aus dieser Zeit. Wir wissen, wo du geboren wurdest und wo du gestorben bist, in welcher Hausnummer du gelebt hast, doch leider wissen wir nicht, wie du dich in dieser unfassbar schrecklichen Zeit gefühlt hast. Auch keiner von uns kann dieses Leid, diese ständige Angst mit der Familie Nassauer und vieler anderer Jud*innen in der Zeit des Nationalsozialismus teilen. Wir können nur erahnen, wie es dir ging. Wie viele Sorgen du vermutlich hattest und auch wie viel Angst oder Verzweiflung du vermutlich gespürt hast. Bis zu deiner Deportation in das Vernichtungslagers Sobibor am 11.06.1942. Das Vernichtungslager, in welches du deportiert wurdest, liegt im damals besetzten Polen. Es wurde im Jahr 1942 gebaut. Anfangs waren es 12 Hektar und später wurde es auf 60 Hektar ausgeweitet. Es gab vier verschiedene Lager und im Lager drei der Vernichtungsstätte hast du dein Leben mit 250.000 anderen jüdischen Europäer*innen in Gaskammern auf schreckliche Art und Weise verloren. Allein Mai bis Juli 1942 wurden 90.000 Jud*innen fabrikmäßig getötet. Rosa du hattest keine Chance zu überleben. Insgesamt überlebten 47 Personen des Vernichtungslagers. Vier oder fünf sind damals vom Waldkommando geflohen. Die restlichen überlebten dank eines Aufstandes gegen die SS. Alle jene, die bei diesem Aufstand nicht fliehen konnten, wurden direkt von der SS ermordet. Das Vernichtungslager wurde gebaut im Rahmen der Aktion Reinhardt, um seitens der Nationalsozialisten zu Feinden stigmatisierte Menschen grausam zu beseitigen. So wie dich Rosa, du konntest nicht überleben. Du wurdest Opfer des verbrecherischen Nazi Regimes. Du teilst deine Geschichte mit vielen anderen Opfern des Nationalsozialismus. Und kein Schicksal darf in Vergessenheit geraten. Deines nicht, nicht das deiner Familie, keines der 6 Millionen Jud*innen. Von Lena Koths, Gymnasium Taunusstein 2022 Rede: Siegfried Nassauer Siegfried Nassauer, wurde als Sohn, von Alexander und Minkel Josephine Rufphine Nassauer, am 19.August 1885 in Wehen geboren. Zudem war er der Ehemann Rosa Nassauers und Onkel, des damals sehr jungen, Fred Kahns. Im Juni 1942 wird er in ein Vernichtungslager in Polen deportiert und dort grausam ermordet. Er arbeitete in Wiesbaden, war Sohn, Ehemann, Onkel und Bruder und ein ganz normaler Bewohner der Gemeinde Wehen. Doch es gibt etwas, das anscheinend erstranging war. Ein Attribut, welches er mit 500 000 Deutschen gemein hatte ihn aber gleichzeitig der gleichgeschalteten Gesellschaft unwürdig machte. Es war die einfache Tatsache seiner Religion und seines Glaubens, welches die Nationalsozialisten dazu brachte 6 Millionen Juden zu ermorden und ihnen undenkbares Leid zu zufügen. Bereits vor dem Ausbruch des Krieg , beschloss auch die Familie Nassauer auszuwandern, es bleibt unklar warum ihnen dies nicht gelang. Gehörte er zu jenen Juden, die noch hofften als verdiente Deutsche verschont zu werden? Sein Hoffen könnte aus seiner Beteiligung am 1. Weltkrieg als Frontkämpfer gründen. Er war damals bereit gewesen, sein Leben für sein Land zu geben, doch zurückgeben, wollte das Land ihm unter Hitler garnichts. Am 09.11.1938 wurden tausende Juden misshandelt, verhaftet oder getötet. Tausende starben in den darauf folgenden Tagen aufgrund der ihnen hinzugefügten Verletzungen. Spätestens in dieser Nacht, in welcher Synagogen und Gotteshäuser niedergebrannt wurden, wurde der Antisemitismus, sowie Rassismus staatsoffiziell. Die Reichsprogromnacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord der Geschichte. Haben sie sich jemals gefragt, was in diesem November 1938 in Taunusstein passiert ist? Der Antisemitismus hatte seinen Weg, aus dem hochgebauten Reichstaggebäude in Berlin, bis hierher nach Taunusstein gefunden. Es gab zahlreiche antisemitische Übergriffe, welche verdeutlichten wie sehr sich die Propaganda Hitlers in den Köpfen der Anwohner breitmachte. Augenzeugen berichteten, einen jüdischen Anwohner gesehen zu haben, welcher von SA-Männer gejagt und verknüppelt wurde, da er beschuldigt wurde ein „arisches“ Mädchen belästigt zu haben. Die 1800 gebaute und in Wehen stehende Synagoge wurde unter Hau-Ruck Rufen gestürmt und von Hand zertrümmert. Da das benachbarte Haus der Familie Nassauer gehörte, wurde auch dieses nicht verschont, so dass Rosa, Josephine und Jakob Nassauer fliehen mussten. Siegfried Nassauer kehrte am 09.11.1938 von seiner Arbeitsstelle in Wiesbaden zurück. Er fuhr auf dem Fahrrad als er bemerkte, wie SA-Truppen ihm immer näher kommen. Er wurde vom Fahrrad gestoßen und wurde durch enorme Misshandlung erheblich verletzt. Daraufhin wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau geschickt. Nach einigen Tagen, durfte er wieder nach Hause zurückzukehren. In der Zeit der Nationalsozialisten wurde viel dokumentiert und protokolliert. Viele Sitzungen oder Kabinettetbesprechungen wurden genauestens niedergeschrieben. Diensterfüllung, Genauigkeit und präzise Bearbeitung waren wichtig, wenn es darum ging jeden Häftling zu dokumentieren, der in Ausschwitz, Maydanek oder Sobibor umkam. Doch zu wenig wird darüber geredet, wie es den jüdischen Anwohnern ging, was es hieß, seine Familie hinter sich zu lassen oder die grundsätzliche Demütigung, die sie jeden Tag ertragen mussten. Keiner weiß, wie es sich für Siegfried anfühlte, verhaftet zu werden oder was es für Rosa hieß sich zu vor Sa Truppen zu verstecken. Wer kann sich vorstellen, wie sehr die Verletzungen von Siegfried wirklich weh taten, als er nach Dachau geschickt wurde. Doch wahrscheinlich noch schlimmer ist es, wenn sogar das Protokollierte unklar ist. Wenn man einer unter 6 Millionen war. Wo ein Tot mehr oder weniger nicht zählte, solange er tot war. Am 11.Juni 1942 wurde Siegfried Nassauer deportiert. Er wurde in Frankfurt in einen der Deportationszüge getrieben und wurde in das besetzte Polen abtransportiert und dort ermordet. Siegfried Nassauer wurde wie viele andere Juden ein Opfer des größten Genozid der Geschichte. Er und viele andere verdienen es geehrt und gewürdigt zu werden. Vor allem sollten sie immer daran erinnern, was sie erleben mussten und wozu unsere Menschheit fähig ist. Von Freya Fischer, Gymnasium Taunusstein 2022 Schluss Die Stolpersteine sollen Erinnerungen an die Opfer des Holocausts und Mahnungen an unsere Gesellschaft sein. Es gilt sie zu pflegen und in Erinnerung zu halten an die, die unter Grausamkeit und Hass ermordet wurden. „Thanks God, I’m alive today because good people stood up to evil“ „Gott sei Dank, bin ich heute am Leben weil gute Menschen sich gegen das Böse eingesetzt haben“, das sind Worte die Fred Kahn nutzte um sich gegen Rassismus, Faschismus und Diskriminierung auszusprechen, die auch noch heute die gleiche Präsenz erachtet sollte wie damals. Und somit ist es ebenfalls unsere Aufgabe uns klar gegen jede Form von Hass zu stellen und uns für eine faire Welt einsetzten, damit sich so was nie wieder wiederholt. Lena Koths und Freya Fischer, Gymnasium Taunusstein 2022


top